Donnerstag, 11. September 2014

"Ich habe die Kraft des Abolitionismus gesehen"

Rachel Moran
Zunächst einmal möchte ich ein wenig darüber sprechen, was Radikaler Feminismus für mich bedeutet; im Kontext meiner aktivistischen Arbeit als Abolitionistin und auch, im gefühlsmäßigen Sinne als Sexhandels-Überlebende. Vor 3 Jahren, als ich anonyme Zeitungsartikel schrieb und unter dem Pseudonym FreeIrishWoman bloggte, bemerkte ich ziemlich schnell, dass meine Worte von einer bestimmten Gruppe Feministinnen geteilt und verbreitet wurden: Radikal-Feministinnen. Angesichts dessen, dass die Erinnerungen, die ich beschrieb, die Erfahrungen eines wohnungslosen, sozial verstoßenen prostituierten 15-jährigen Mädchens waren, hatte ich Unterstützung von der ganzen feministischen Community von überall her erwartet. Nun gut, ich war nicht ganz unwissend in Bezug auf die Spaltungen zwischen denen, die sich als Feministinnen bezeichnen, ansonsten wäre es vermutlich ein Schock gewesen zu erfahren, dass während meine Worte und Erfahrungen von Radikalen Feministinnen anerkannt und geteilt wurden, diese gleichzeitig von jenen lächerlich gemacht und permanent in ihrer Authentizität in Frage gestellt wurden, die sich selbst als Liberale Feministinnen verstehen.

Liberaler Feminismus - der behauptet, dass alles, was eine Frau tut, empowernd sein kann, solange sie es ohne ein Gewehr an ihrer Schläfe tut - hörte sich ohnehin für mich immer wie ein Haufen Mist an, sodass ich nicht sagen könnte, dass ich furchtbar enttäuscht gewesen wäre. Aber: Ich war verletzt und ich war vor allem sauer. Es ist sowohl verletzend als auch verärgernd für mich, von einer ganzen Truppe weißer, sozial privilegierter, junger Frauen in ihren 20ern da draußen zu wissen, die über Prostitution spricht, als wäre sie der Inbegriff weiblichen Empowerments. Dass sie zu dieser Einschätzung einer Erfahrung kommen, die sie selbst nie gemacht haben – während sie selbst natürlich Jahre in Bildung und Ausbildung verbrachten, in dem Bemühen, bloß nicht selbst zur sozialen Klasse jener zu gehören, die am meisten diese Erfahrung machen muss -; dass sie sie für harmlos erklärt, obwohl es diesen Tsunami an Beweisen gibt, der ihren Schaden bestätigt, das ist für mich die widerwärtigste Form von Heuchelei.


Manchmal sind wir, die die Wahrheit über den globalen Sexhandel aussprechen, am Rande der Verzweiflung, erdrückt unter dem Gewicht der herrschenden öffentlichen Meinung, die vor Ignoranz strotzt: auf der einen Seite bewusst und bösartig, und mit Blindheit geschlagen, auf der anderen Seite manchmal auch sehr unschuldig daherkommend, was in diesem Fall dann noch frustrierender ist. Wir wissen, wie sehr die Existenz des globalen Sexhandels und das Auslöschen unzähliger Frauen, deren Leben darin erstickt wird, dem Interessen des Patriarchats dienen. Es daher abstoßend, diesen Liberalen Feministinnen zuzuhören wie sie brav entlang der patriarchalen Linie strammstehen und die Lüge, die sie selber geschluckt haben, an uns weiter verabreichen wollen und wie sie versuchen uns zu einzureden, dass schwarz weiß ist, unten oben, und Gefangenschaft befreiend ist. Konsens mit Befreiung gleichzusetzen ist das Geschäft derjenigen, die nicht wissen, dass Unterdrückung nicht ohne Konsens funktionieren kann. Aber der Konsens der Unterdrückung, Konsens unter Nötigung, ist kein echter Konsens. Die Nötigung selbst hat Konsens in verschiedene Formen verwandelt und ihn von seiner ursprünglichen Bedeutung weit entfernt. Echter sexueller Konsens ist hier nicht möglich. Sexueller Konsens liegt jenseits der Gesetze des Kommerzes; er liegt jenseits von Verkaufen und Kaufen. Sexuelle Gewalt dagegen hat oft ein Preisschild, und wenn dies der Fall ist, dann nennen wir es Prostitution.

Ich bin die Ignoranz von Frauen leid, die das nicht verstehen, aber wundert es irgendwen wirklich, dass die meisten dieser Frauen, wie ich gesagt habe, jung, weiß und privilegiert sind? Ich bezweifle, dass irgendeine der Frauen, die heute hier versammelt sind, darüber verwundert ist, denn dass die sozial Privilegierten von der Wirklichkeit der sozial Ausgegrenzten entfernt sind, ist einfach nicht überraschend für jede Frau, die ein Minimum an politischem Verstand hat.

Und ja, ich gebe zu, dass wir müde und frustriert und angepisst sind, und das aus gutem Grund. Jedes Mal, wenn wir sprechen, tun sie alles dafür, um uns auszuschalten. Wir haben Beispiele davon in den vergangenen Wochen gesehen so wie wir sie jede Woche sehen. Während ich hier spreche, starten IdiotInnen da draußen Petitionen gegen diese Konferenz, von Edinburgh nach Brighton und wieder zurück. Den höflichsten Rat, den ich diesen Frauen geben kann, ist, in ihren Wörterbücher zu wälzen und das Wort Feminismus nachzuschlagen. Natürlich, müsste ich sie bedauerlicherweise auch dazu anhalten, das was sie in den meisten Fällen dort gefunden haben, zu ignorieren,weil so viele Wörterbücher Feminismus als eine Sache sexueller Gleichberechtigung definieren, was das Pferd von hinten aufzäumt! Eine Frau, die an die soziale, wirtschaftliche und politische Gleichberechtigung der Geschlechter glaubt, ist keine Feministin, sondern eine Fantastin. Wir leben nicht in dieser Welt; wir haben keine Gleichberechtigung und, wie Radikale Feministinnen wissen, ist der Abbau männlicher Vormachtstellung eine Voraussetzung für Gleichberechtigung. Wir müssen zuerst von ihr befreit werden. Dann, und nur dann können wir unsere Leben als Gleichberechtigte leben.

Die simple Grausamkeit der Haltung liberaler Feministinnen ist etwas, das ihnen selbst offenbar entgeht. Ihre Haltung sagt uns Sexhandel-Überlebenden, dass jede Vergewaltigung, die wir durchgemacht haben, egal ist, dass jeder Angriff jedweder Form und Art nur berufsbezogene Gefahren waren, und dass unsere Gruppen-Vergewaltigungen keine Gruppen-Vergewaltigungen gewesen wären, wenn nur die Gesetzgebung diese Männer dazu gezwungen hätte, uns einzeln nacheinander zu benutzen. Nun gut, ich habe Neuigkeiten für sie: Flatrate-Bordelle und Gang-Bang-Pakete sind der letzte Schrei in Deutschland heutzutage. Für jeden, der noch nichts von diesen Begriffen gehört hat, ein Flatrate-Bordell ist die Antwort der Prostitution auf ein All-You-Can-Eat-Buffet. Männer zahlen eine einmalige Gebühr, eine „Flatrate“, und für diese Gebühr können sie den Körper oder die Körper von Frauen benutzen, solange sie dazu in der Lage sind, sie können so oft zum Höhepunkt kommen, wie sie wollen oder können. Dies wird manchmal mit Gang-Bang Angeboten verbunden, bei denen fünf oder sechs oder sieben Männer zusammen in einem Bordell auftauchen, und den Körper einer Frau benutzen, bis sie kaum noch stehen kann. Ich habe Fotos weitergeleitet bekommen von einer solchen Szene eines deutschen Bordells. Das Mädchen, das von einem halben Dutzend Männer benutzt wurde, war 19 Jahre alt und im 7. Monat schwanger. Das ist das wahre Gesicht des regulierten Sex-Geschäfts, für den Liberale Feministinnen kämpfen.

Mitten in den Kampagnen gegen diese Konferenz wurde behauptet, dass ich das Leben der Frauen in der Prostitution gefährde. Es ist bezeichnend, wie der Grad ihres Nichtbegreifens durch diese Vorwürfe offen gelegt wird, die sie gegen mich erheben. Es gibt nur eine einzige Gruppe Menschen, die jemals dafür verantwortlich war, mein Leben zu gefährden, als ich in der Prostitution war, und dies waren ganz gewiss keine Abolitionistinnen; es waren Sex-kaufende Männer; die gleichen Sex-kaufenden Männer, deren Schwänze niemals von den Liberalen Feministinnen gelutscht werden, die das Recht dieser Männer aufrecht erhalten und verteidigen, ihre Schwänze von anderen Frauen lutschen zu lassen; von wirtschaftlich entrechteten, bildungsmäßig benachteiligten, sozial unterprivilegierten und rassistisch marginalisierten Frauen.

Also, wohin mit unserem Frust? Und was sollen wir tun, mit dieser Wut, die hier so unvermeidlich ist und eine nur allzu menschliche Reaktion auf diese Ungerechtigkeit, die Wahrheit zu erzählen und dafür als Lügnerin bezeichnet zu werden? Das Erste, was ich sagen würde, ist: Fasst Mut, es wird nicht für immer so bleiben. Es ist genau diese Scheinheiligkeit in der Haltung Liberaler Feministinnen , die ihr Untergang sein wird. Die Doktrin, die behauptet "aus diesen Erfahrungen (bei denen wir mit Zähnen und Klauen kämpfen, damit wir sie nicht machen müssen), kann Empowerment gezogen werden", hat ein Ablaufdatum. Diese Art von Geschwätz hat ein Verfallsdatum. So beliebt sie auch sein mag, für wie lange auch immer, eine solche Doktrin ist dazu verdammt, bloßgestellt zu werden – des Kaisers neue Kleider.

Diese letzten Jahre haben mich zutiefst getröstet und gestärkt (und insbesondere die letzten 18 Monate, seit mein Buch „Paid For“ veröffentlicht wurde), nicht nur durch die Wahrheiten, die von mir anerkannt wurden, sondern durch die Wahrheiten, die von so vielen anderen Frauen ausgesprochen wurden, von denen die meisten diese nicht mal selbst durchleben mussten, um sie als solche anzuerkennen. Es stärkt mich, wenn ich sehe, dass Land für Land abolitionistische Bewegungen entstehen, wo vorher keine waren; oder dass sie sich verfestigen, wo sie zuvor am Wackeln waren, und wo immer ich das Anwachsen des Abolitionismus gesehen haben, habe ich deutliche Gemeinsamkeiten zwischen der abolitionistischen Bewegung und der radikal-feministischen Bewegung gesehen, oder zumindest eine deutliches Festhalten an radikal-feministischen Prinzipien im Abolitionismus.

Die Wahrheit ist, dass Radikal-Feministinnen hier auf der richtigen Seite der Geschichte stehen und sie einzigen Feministinnen sind, die voll und ganz verstehen, worum es geht, und warum das so ist. Sozialistische Feministinnen haben meinen Respekt, aber sie haben nicht ganz verstanden, worum es geht. Prostitution existiert nicht als Folge der wirtschaftlichen Entrechtung der Frau. Armut ist begünstigender Faktor. Aber kein Grund. Begünstigende Faktoren sind keine Gründe. Sie sind einfach begünstigende Faktoren. Prostitution existiert aus einem Grund; der Grund ist die männliche Nachfrage. Kein Ausmaß an Armut könnte Prostitution schaffen, wenn es die männliche Nachfrage nicht gäbe.

Ich bin heute hierher gekommen, um jede Frau in diesem Raum um Unterstützung im Kampf gegen dieses Übel zu bitten, das fast ausschließlich auf Frauen und Mädchen liegt. Wir müssen es bekämpfen, nicht, indem wir Blätter abreißen, auch nicht, indem wir Zweige abhacken und nicht einmal, indem wir den Stamm absägen; wir müssen die Wurzel ausreißen. So beängstigend das auch anmutet, wir haben die Werkzeuge dafür. Wir sind, zum Glück, nicht vollkommen verwirrt worden wie die Liberalen, noch sind wir in unserem Verständnis so festgelegt wie die Sozialistinnen. Wir wissen, dass Prostitution gleichermaßen sowohl eine Folge als auch ein klarer Beleg der Unterordnung von Frauen ist; und es ist vom Standpunkt dieser Erkenntnis aus, dass wir sie abbauen können. Es ist sehr wichtig, dass wir in diesem Kampf keinen Milimeter nachgeben. Wir dürfen den Taktiken der Pro-Prostitutions-Lobby nie nachgeben, von denen die erste ist, so zu tun, als sei Prostitution keine Frage der Moral. Lasst es mich vor euch und der Welt sagen: Ihr könnt euch verdammt sicher sein, dass Prostitution eine Frage der Moral ist, so wie es Menschenrechte immer sind.

AbolitionistInnen, so behauptet es die Pro-Prostitutions-Lobby, beteiligen sich an einem "moralischen Kreuzzug", um die Welt von der Prostitution zu befreien. Kreuzzug ist hier ein abwertender Begriff, und er wird mit Moral verbunden, damit etwas von diesem verächtlichen Hohn abfärbt. Moral an sich, wird uns gesagt, ist negativ, unbegründet und ja, falsch. Die unverhohlene Dummheit in der Behauptung, dass die Unterscheidung zwischen richtig und falsch in sich falsch ist, entgeht manchen Menschen offenbar.

Ich bin es müde, Leute zu hören, die abolitionistische Argumente wiedergeben, in dem sie beginnen mit 'Ich bin keine Moralistin, aber …' . Wir sind alle MoralistInnen, außer wir sind PsychopathInnen, und seit wann ist Moral eigentlich ein dreckiges Wort? Hier ist die Antwort darauf: Moral ist ein dreckiges Wort, seitdem es manchen Menschen sehr gut in den Kram passt, dass wir wegschauen und so tun als wäre Moral hier null und nichtig; und du wirst immer wieder feststellen, dass Menschen, die für diese Haltung eintreten, etwas verteidigen, was schlichtweg falsch ist, daher also ihr absolutes Beharren darauf, dass Moral dabei keine Chance haben sollte.

Da ist auch noch dieser Blödsinn, der besagt, dass die die, die Prostitution ablehnen, dies notwendigerweise von einem religiösen Standpunkt aus tun, so als gäbe es irgendeinen Mangel an ethischen AtheistInnen in der Welt. Die moralischen Prinzipien, die das Handeln steuern oder beeinflussen, haben meistens keine andere Grundlage als unser eigener angeborener Instinkt dafür, was schädliches menschliches Verhalten ist und was nicht. Prostitution verletzt die menschliche Psyche auf jede erdenkliche Weise; es ist genau ihre schädigende, degradierende Beschaffenheit, die wir ganz unmittelbar spüren, wenn wir uns Prostitution als ein Bestandteil im Lebens der Frauen vorstellen, die wir lieben.

Also lasst uns fest bei diesen Grundsätzen bleiben: Dass Prostitution aufgrund der männlichen Nachfrage existiert, und dass wir verdammt gut wissen und uns auch nicht davon abbringen lassen, dass sie absolutes Unrecht ist. Es gibt einen Grund, warum wir so beständig in diesen Grundsätzen bekämpft werden; der Grund ist, dass unsere GegnerInnen wissen, dass wir sie damit besiegen können.

Lasst mich wiederholen, dass ich heute hier her gekommen bin, um jede Frau in diesem Raum um Unterstützung zu bitten, Prostitution zu bekämpfen. Bitte versteht das als einen Aufruf zum Handeln. Durch Europa hindurch fangen unsere PolitikerInnen an, sich vermehrt mit Prostitution zu befassen und erst diesen Februar hat das Europäische Parlament mit einer überwältigenden Mehrheit für din Übernahme des Honeyball-Bericht gestimmt, der europaweit zu einer Übernahme des Nordischen Modells aufruft. Wenn eure PolitikerInnen sich äußern, unterstützt sie bitte durch persönliche und öffentliche Briefe. Wenn sie es nicht tun, ermutigt sie, es zu tun. Wenn ihr abolitionistische Kampagnen entstehen seht – und ihr werdet mehr davon sehen; die abolitionistische Bewegung wächst – gebt eure Zeit und eure Energie und eure Stimme.

Ich arbeite mit einer Gruppe, die sich SPACE International nennt, SPACE steht für ‘Survivors of Prostitution-Abuse Calling for Enlightenment’, Überlebende der Prostitutions-Gewalt Fordern Aufklärung. Unsere MitgliederInnenschaft umfasst inzwischen sieben Länder und alle von uns haben dieses sehr schmerzvolle Opfer gebracht öffentlich über die erlittene Gewalt im Sexhandel zu sprechen. Wir haben FreundInnen und Verbündete in verschiedenen internationalen Organisationen und wir gewinnen an Boden, aber wir können das nicht ohne die Unterstützung von Frauen in der allgemeinen Öffentlichkeit tun. Ich ermutige euch, RadFemUK und anderen ähnlichen Gruppen beizutreten und ihre Aktionen zu unterstützen, indem ihr ihre Kampagnen und Materialien teilt und verbreitet. Wir brauchen eine breite öffentliche Unterstützung von Frauen, aber vielleicht, bevor das geschieht, müssen wir Frauen daran erinnern, dass die Körper ihrer Töchter in Bordellen und Rotlicht-Zonen genauso willkommen wären, wie es unsere dort immer waren, sollten ihre Lebensumstände sie jemals zufällig dorthin platzieren.


Rachel Moran, FemiFest 2014, Großbritannien

Rachel Moran hielt ihre Rede in London anlässlich des Femifest 2014. Es gibt eine Videoaufzeichnung der Rede und den englischen Originaltext.  

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